Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfall während ungenehmigter Nebentätigkeit

Landesarbeitsgericht Hamm, 08.02.2006 – 18 Sa 1083/05

Ist ein Arbeitsunfall bei der Ausübung einer Nebentätigkeit vom Arbeitnehmer nicht selbst verschuldet, so ist der Arbeitgeber des Hauptarbeitsverhältnisses selbst dann zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet, wenn der Betriebsunfall zur Arbeitsunfähigkeit führt und die Nebentätigkeit nicht genehmigt war.

Die Klägerin ist Träger gesetzlichen Unfallversicherung und macht gegen die beklagte Arbeitgeberin Entgeltfortzahlungsansprüche im Krankheitsfall aus übergegangenem Recht geltend. Der bei der Klägerin versicherte war in der Zeit vom 15.03.2004 bis zum 31.01.2005 im Betrieb der Beklagten als Auslieferungsfahrer tätig. Der zu Grunde liegende Arbeitsvertrag enthielt u.a. folgende Regelung: “Der Arbeitnehmer hat seine volle Arbeitskraft in die Dienste der Firma zu stellen. Eine Nebentätigkeit darf er nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Firma aufnehmen.”

Der Arbeitnehmer hatte von Beginn seiner Tätigkeit an schon ein weiteres Arbeitsverhältnis mit einem Fortbetrieb begründet auf der Basis eines 400,00 Euro. Das Bestehen des Arbeitsverhältnisses war der Sozialversicherung angezeit worden. Eine Nebentätigkeitsgenehmigung der Beklagten beantragte der Arbeitnehmer nicht. Zudem verneinte er bei seiner Einstellung die Frage nach dem Bestehen einer Nebentätigkeit.

An dem bei der Beklagten für ihn arbeitsfreien Samstag am 11.09.2004 zog sich der Arbeitnehmer bei seiner Nebentätigkeit in dem Forstbetrieb unverschuldet einen Unterschenkelbruch zu. Wegen dieser Verletzung war er in der Zeit vom 11.09.2004 bis zum 09.01.2005 arbeitsunfähig krank. Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab dem 13.09.2004. Die Klägerin veranlasste daraufhin für den Zeitraum 13.09.2004 bis zum 22.10.2004 die Auszahlung von Verletztengeld an den Arbeitnehmer. Die Klägerin verlangte von der Beklagten Entgeltfortzahlung in Höhe des Verletztengeldes für 40 Tage im Zeitraum zwischen dem 13.09. bis 22.10.2004.

Die Klägerin war der gesetzliche Unfallversicherungsträger für den Arbeitsunfall vom 11.09.2004. Sie war gemäß §§ 45 bis 47, 52 SGB VII verpflichtet, Verletztengeld an den Versicherten zu zahlen, nachdem die Beklagte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu Unrecht verweigert hatte. Das Landesarbeitsgericht ist der Ansicht, dass der Klägerin aus übergegangenem Recht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen die Beklagte zusteht.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

Die Arbeitsunfähigkeit kann dem Versicherten nicht allein deshalb vorgeworfen werden, weil sich der Arbeitsunfall während einer nicht genehmigten Nebentätigkeit ereignet.

Schuldhaft im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt der Arbeitnehmer dann, wenn er gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Das Gesetz schließt den Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei eigenem Verschulden des Arbeitnehmers aus, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit der Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung zu belasten, wenn der Arbeitnehmer zumutbare Sorgfalt sich selbst gegenüber außer Acht gelassen und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verschuldet hat.

Der Versicherte hat nach Meinung des Gerichts seine Arbeitsunfähigkeit nicht dadurch schuldhaft herbeigeführt, dass er ein zweites Arbeitsverhältnis mit dem Forstbetrieb einging. Für Unfälle bei Nebentätigkeiten, die zur Arbeitsunfähigkeit führen, gelten im Hinblick auf den Entgeltfortzahlungsanspruch grundsätzlich dieselben Regeln wie für sonstige Arbeitsunfälle. Es kommt auch hier allein darauf an, ob ein leichtfertiges oder grob fahrlässiges Verhalten zu bejahen ist. Etwas anderes gilt, wenn diese Nebentätigkeit besonders gefährlich oder für den Arbeitnehmer zu schwer war. Entgegen der Auffassung der Beklagten stellte in dem konkreten Fall das Fällen von Bäumen für den Versicherten keine besonders gefährliche oder verletzungsträchtige Tätigkeit dar, da der als Forstwirt ausgebildet war und eine zehnjährige Berufserfahrung in seinem Ausbildungsberuf vorweisen konnte.

Auch die Tatsache, dass die vom Versicherten ausgeübte Nebentätigkeit von der Beklagten nicht genehmigt war, führt nicht dazu, dass die Verletzung, die Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, von dem Versicherten verschuldet worden ist. Zwar war der Abschluss des zweiten Arbeitsvertrages im vorliegenden Fall vertragswidrig sein, jedoch diese Pflichtverletzung nicht kausal für die eingetretene Verletzung. Durch den Abschluss des Vertrages ist die Erkrankung nicht verursacht worden.

Konsequenzen:
Arbeitgeber haben im Falle der Arbeitsunfähigkeit selbst dann Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen zu leisten, wenn sich der Arbeitsunfall während einer ungenehmigten Nebentätigkeit des Arbeitnehmers ereignet. Es sollte aber immer geprüft werden, ob die Arbeitsunfähigkeit nicht in anderer Weise schuldhaft verursacht wurde. Im konkreten Fall hatte das Gericht im Ergebnis die Verletzung von Vorschriften zur Unfallverhütung (das Tragen von Schutzkleidung) verneint.