Keine Sperrzeit bei Eigenkündigung aufgrund von Zwang zum Passivrauchen

Hessisches LSG 11.10.2006, L 6 AL 24/05

Zwang zum Passivrauchen rechtfertigt Eigenkündigung des Arbeitnehmers – Arbeitsagentur darf keine Sperrzeit verhängen

Arbeitnehmer, die an ihrem Arbeitsplatz zum Passivrauchen gezwungen werden und deren Arbeitgeber keine Abhilfe schaffen, können das Arbeitsverhältnis kündigen, ohne Einbußen beim Arbeitslosengeld zu riskieren. Eine solche Eigenkündigung dient dem Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens und ist daher durch einen wichtigen Grund im Sinn von § 144 Abs.1 SGB III gerechtfertigt. Das gilt unabhängig von der Intensität der Luftbelastung durch Tabakrauch oder der persönlichen Disposition des Arbeitnehmers.

Der Sachverhalt:
Der Kläger war zunächst drei Jahre lang bei der Firma A. als Montagearbeiter beschäftigt, anschließend sechs Wochen lang arbeitslos und nahm sodann eine Beschäftigung als Optikerhelfer bei der Firma B. auf. Die Firma beschäftigte zu diesem Zeitpunkt elf Arbeitnehmer. Es gab keinen Betriebsrat. Im ganzen Unternehmen durfte mit Einverständnis des Firmeninhabers geraucht werden.

Der Kläger ist Nichtraucher. Er fühlte sich durch den Zigarettenrauch in seinem Büro belästigt. Er wandte sich deshalb rund drei Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses an den Firmeninhaber und beanstandete, dass überall im Betrieb geraucht werde und er dies gesundheitlich nicht vertrage. Der Firmenchef wies die Kritik zurück und meinte, dass der Kläger das Rauchproblem überstehen müsse. Daraufhin löste der Kläger das Beschäftigungsverhältnis und meldete sich wieder arbeitslos.

Die beklagte Bundesagentur für Arbeit zahlte dem Kläger für die ersten sechs Wochen seiner Arbeitslosigkeit kein Arbeitslosengeld. Dies begründete sie damit, dass eine Sperrzeit gemäß § 144 Abs.1 Nr.1 SGB III eingetreten sei, weil der Kläger seine Arbeitslosigkeit durch die Eigenkündigung schuldhaft selbst verursacht habe. Die hiergegen gerichtete Klage wies das SG ab; das LSG gab ihr statt, ließ allerdings wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zum BSG zu. Die Beklagte hat inzwischen auf die Einlegung der Revision verzichtet. Das Urteil des LSG ist damit rechtskräftig.

Die Gründe:
Die Beklagte muss dem Kläger auch für die ersten sechs Wochen seiner Arbeitslosigkeit Arbeitslosengeld zahlen. Die Voraussetzungen einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs.1 Nr.1 SGB III sind nicht erfüllt. Hiernach ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer der Sperrzeit, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis ohne wichtigen Grund selbst gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat.

Im Streitfall hatte der Kläger einen wichtigen Grund, das Arbeitsverhältnis sofort zu lösen, nachdem seine Bemühungen um einen rauchfreien Arbeitsplatz gescheitert waren. Denn er konnte sich an seinem Arbeitsplatz vor dem Passivrauchen nicht schützen. Passivrauchen stellt nach den derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht nur eine bloße „Belästigung“ dar, sondern ist gesundheitsgefährdend.

Nach einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg kann Tabakrauch selbst in kleinen Dosen in kurzer Zeit zu Tumoren führen. Es gibt insoweit keine Schwellenwert, bei dessen Unterschreitung eine Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen ausgeschlossen werden kann. Daher kommt es im Streitfall weder darauf an, wie hoch die Tabakqualm-Belastung in den einzelnen Räumen der Firma ist, noch darauf, ob der Kläger Tabakqualm besonders schlecht verträgt. Er war nicht verpflichtet, über einen bestimmten Zeitraum an seinem gesundheitsgefährdenden „verqualmten“ Arbeitsplatz zu verharren.

Quelle: Hessisches LSG PM Nr.18 vom 8.5.2007