EuGH: Schadensersatzspruch bei rechtswidriger Fusionsuntersagung

EuG 11.7.2007, T-351/03

Unternehmen können von der Gemeinschaft Schadensersatz verlangen, wenn die Kommission eine Fusion rechtswidrig untersagt hat. Rechtswidrig ist eine Untersagung beispielsweise dann, wenn die Kommission den an der Fusion beteiligten Unternehmen vor ihrer Untersagungsentscheidung keine Gelegenheit zur Anhörung gegeben hat.

Der Sachverhalt:
Der französische Industriekonzern Schneider Electric ist auf dem Gebiet der Elektrizitätsverteilung und der industriellen Prozessteuerung tätig. Das Unternehmen Legrand ist ebenfalls in Frankreich ansässig. Sein Tätigkeitsfeld umfasst Elektrogeräte und Niederspannungsanlagen.

Nachdem die beiden Unternehmen die Übernahme der Kontrolle von Legrand durch Schneider im Wege eines öffentlichen Aktienumtauschs vereinbart hatten, hatten sie im Februar 2001 ihr Zusammenschlussvorhaben förmlich bei der Kommission angemeldet, um sich die Fusion genehmigen zu lassen.

Nachdem Schneider 98 Prozent des Kapitals von Legrand erworben hatte, hatte die Kommission den Zusammenschluss im Oktober 2001 für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt, da der Zusammenschluss insbesondere zu einer erheblichen Behinderung eines wirksamen Wettbewerbs in den betroffenen französischen Marktsektoren führe. Die Kommission hatte Schneider zudem angewiesen, sich wieder von Legrand zu trennen.

Schneider hatte gegen die Entscheidungen der Kommission Nichtigkeitsklage erhoben. Zugleich hatte das Unternehmen, da es mit einer Abweisung der Klage rechnete, seine Anteile an Legrand an ein anderes Unternehmen zu einem geringeren Preis veräußert.

Das EuG erklärte die Entscheidungen der Kommission im Oktober 2002 für nichtig, weil die Kommission es versäumt habe, Schneider vor Erlass seiner Verfügungen anzuhören. Schneider habe somit gar nicht die Möglichkeit gehabt, sein Vorhaben zu begründen und zu verteidigen.

Anschließend erhob Schneider beim EuG Klage auf Ersatz des Schadens, den das Unternehmen durch die rechtswidrige Entscheidung der Kommission erlitten habe. Die Klage hatte Erfolg.

Die Gründe:
Schneider hat gegen die Gemeinschaft Anspruch auf Schadensersatz.

Grundsätzlich setzt die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft ein rechtswidriges Verhalten ihrer Organe voraus. Ein rechtswidriges Verhalten liegt insbesondere vor, wenn ein Organ die Ermessensgrenzen offenkundig und erheblich überschritten hat.

Im Streitfall hat die Kommission in diesem Sinne rechtswidrig gehandelt. Sie hat Schneider vor ihrer Entscheidung über die Fusion nicht angehört, und dem Unternehmen damit die Möglichkeit genommen, eine Erklärung von der Kommission über die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses zu bekommen und dazu Stellung zu nehmen. So hätte es sein können, dass Schneider Abhilfemaßnahmen hätte anbieten können, die geeignet gewesen wären, eine Marktkonzentration zu verringern oder zu beseitigen. Die Verletzung des Anhörungsrecht ist nicht zu rechtfertigen.

Schneider hat gegen die Gemeinschaft einen Ersatzanspruch für den Betrag, den das Unternehmen aufgewandt hat, um sich an der Wiederaufnahme der Kontrolle des Zusammenschlusses durch die Kommission nach den vom EuG im Oktober 2002 verkündeten Nichtigkeitsurteilen zu beteiligen. Außerdem kann Schneider den Schaden ersetzt verlangen, der durch die Reduzierung des Veräußerungspreises der Legrand-Anteile entstanden ist. Dieser ist allerdings nur zu zwei Dritteln zu ersetzen, da Schneider selbst zu seiner Schädigung beigetragen hat, indem das Unternehmen das reale Risiko eingegangen ist, dass der Zusammenschluss im Nachhinein für unvereinbar erklärt wird und die Aktiva von Legrand möglicherweise zwingend wieder verkauft werden müssen.

Quelle: EuG PM Nr.48 vom 12.7.2007