Kurzfristiger Austritt eines Arbeitgebers aus Arbeitgeberverband zur Umgehung eines Tarifvertrags kann im Einzelfall wirksam sein

“Blitzaustritt” aus Arbeitgeberverband kann wirksam sein

Arbeitgeberverbände unterliegen als eingetragene Vereine nicht nur dem Vereinsrecht, sondern sind als Träger der kollektiven Koalitionsfreiheit auch für die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie mitverantwortlich. Hieraus können sich zwar im Einzelfall Grenzen für die Ausübung ihrer vereinsrechtlichen Befugnisse ergeben. Die Vereinbarung einer kurzfristigen Beendigung der Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband (“Blitzaustritt”), um der Bindung an einen Tarifvertrag zu gehen, kann allerdings dennoch im Einzelfall wirksam sein.

Der Sachverhalt:
Der Kläger, ein Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist bei dem beklagten Universitätskrankenhaus beschäftigt.

Der Beklagte war ursprünglich Mitglied des Arbeitgeberverbands, der mit ver.di über die Übernahme des TVöD verhandelte. Im Zuge dieser Verhandlungen verlangten die Krankenhäuser Sonderregelungen für ihren Bereich. Um ihnen für den Fall des Nichtzustandekommens der Sonderregelungen entgegenzukommen, beschloss die Mitgliederversammlung des Arbeitgeberverbands im März 2005 eine vorübergehende Satzungsänderung, die den Mitgliedern ein besonderes Austrittsrecht mit einer Frist von drei Tagen einräumte. Dieser Beschluss wurde nicht in das Vereinsregister eingetragen.

Ebenfalls im März 2005 einigten sich die Tarifvertragsparteien auf einen Tarifvertrag über eine Einmalzahlung von 300 Euro für das Jahr 2005. In den Genuss der Sonderzahlung sollten allerdings nur die Beschäftigten kommen, für die die spätere Übernahme des TVöD in Kraft treten würde. Am 19.09.2005 beschlossen die Tarifvertragsparteien die Übernahme des TVöD ohne Sonderregelungen für Krankenhäuser. Trotz Kenntnis vom kurzfristigen Austrittsrecht aus dem Arbeitgeberverband erklärte sich ver.di damit einverstanden, dass der Tarifvertrag erst am 01.10.2005 in Kraft treten sollte.

Mit Schreiben vom 23.09.2005 erklärte der Beklagte unter Berufung auf das Sonderaustrittsrecht seinen Austritt aus dem Arbeitgeberverband zum 29.09.2005. Der Verband bestätigte am 28.09.2005 den Erhalt der Austrittserklärung und teilte dem Beklagten mit, dass er die Austrittserklärung annehme.

Der Kläger verlangte vom Beklagten die Einmalzahlung in Höhe von 300 Euro und machte zur Begründung geltend, dass der Beklagte nicht wirksam aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten und daher sowohl an den Tarifvertrag vom 19.09.2005 als auch an den Einmalzahlungstarifvertrag gebunden sei. ArbG und LAG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob das BAG diese Entscheidungen auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf die Einmalzahlung. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Beklagte vor dem Inkrafttreten des Tarifvertrags zur Übernahme des TVöD wirksam aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Damit fehlt es an einer wesentlichen Voraussetzung für die Einmalzahlung, da diese nur den Beschäftigten zustehen sollte, für die die Übernahme des TVöD „in Kraft tritt“.

Für den Beklagten bestand zwar kein satzungsmäßiges Sonderaustrittsrecht, da es an der hierfür erforderlichen Eintragung des Beschlusses ins Vereinsregister fehlt. Es ist jedoch eine nach der Satzung des Arbeitgeberverbands wirksame individuelle Vereinbarung über einen Verbandsaustritt zum 29.09.2005 zustande gekommen.

Diese Vereinbarung verstieß auch nicht gegen höherrangiges Recht. Kurzfristige Austrittsvereinbarungen können zwar unwirksam sein, wenn sie die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nicht unerheblich beeinträchtigen, etwa indem sie die Tarifverhandlungen stören. Einer solcher Fall liegt hier allerdings nicht vor. Ver.di wusste von dem Sonderaustrittsrecht. Trotzdem hat die Gewerkschaft nicht auf ein sofortiges Inkrafttreten des Tarifvertrags vom 19.09.2005 bestanden, sondern sich mit einem Inkrafttreten zwei Wochen nach Abschluss des Tarifvertrags einverstanden erklärt.

BAG 20.02.2008, 4 AZR 64/07