Bundessozialgericht: Medikamentenzuzahlung auch für Bezieher von ALG II
BSG 22.04.2008, B 1 KR 10/07 R
Arbeitslosengeld II – Empfänger können sich nicht grundsätzlich von der im Jahr 2004 eingeführten Zuzahlungspflicht zu Arzneimitteln befreien lassen. Das Existenzminimum wird jedenfalls bei der für chronisch Kranke geltenden Zuzahlungspflicht in Höhe von einem Prozent der Bruttoeinnahmen (hier: 41,40 Euro im Jahr) nicht überschritten. Das Arbeitslosengeld II orientiert sich nicht am physischen Existenzminimum, sondern geht darüber hinaus.
Der Sachverhalt:
Der chronisch kranke Kläger ist langzeitarbeitslos. Er ist bei der beklagten Betriebskrankenkasse krankenversichert. Ursprünglich bezog er Arbeitslosenhilfe und inzwischen Arbeitslosengeld II. Bis zum 31.12.2003 war er gemäß § 61 SGB V a.F. von der Zuzahlungspflicht zu Arzneimitteln befreit. Dieser Befreiungstatbestand ist zum 01.01.2004 aufgehoben worden. Seitdem müssen auch Arbeitslose Zuzahlungen bis zur Höhe von zwei Prozent ihrer Bruttoeinnahmen leisten. Für chronisch Kranke liegt die Belastungsgrenze bei einem Prozent.
Die Beklagte hob im Jahr 2004 den Befreiungsbescheid auf und teilte dem Kläger mit, dass er als chronisch Kranker ein Prozent seiner Bruttoeinnahmen als Zuzahlung entrichten müsse. Sie setzte die Zuzahlungsgrenze in den Jahren 2005 und 2006 auf jeweils 41,40 Euro fest. Der Kläger erhielt in dieser Höhe ein Darlehen von der Agentur für Arbeit, das er in monatlichen Raten von 3,45 Euro zurückzuzahlen hatte.
Mit seiner Klage machte der Kläger geltend, dass er durch die Zuzahlungen unzumutbar und verfassungswidrig belastet werde, weil sein Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Die Zuzahlungspflicht verletze seine Menschenwürde, sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs.1 GG.
Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.
Die Gründe:
Der Kläger ist gemäß §§ 61, 62 SGB V zu Zuzahlungen bis zur Höhe von einem Prozent seiner Bruttoeinnahmen verpflichtet. Die gesetzliche Zuzahlungspflicht begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und führt insbesondere nicht zu einer Unterschreitung des Existenzminimums.
Der Kläger ist kostenlos krankenversichert, bezog in den Streitjahren die Regelleistung in Höhe von 345 Euro und erhielt zusätzliche Zahlungen für Unterkunft und Heizung. Bei dieser Sachlage war ihm eine Zuzahlung zu Arzneimitteln in Höhe von 3,45 Euro monatlich zumutbar.
Diese Zuzahlung führt nicht zu einer Unterschreitung des Existenzminimums. Das Arbeitslosengeld II orientiert sich nicht an den denkbar untersten verfassungsrechtlichen Grenzen, dem physischen Existenzminimum, sondern geht darüber hinaus und berücksichtigt auch einen soziokulturellen Leistungsanteil. Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung der Höhe des Arbeitslosengeld II zudem vertretbar die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe von 1998 hochgerechnet.
Die Zuzahlungspflicht ist auch deshalb sachlich gerechtfertigt, weil sie der Schärfung des Kostenbewusstseins der Versicherten dient. Dieses gesetzgeberische Ziel greift auch bei Langzeitarbeitlosen.
Quelle: BSG PM Nr.17 vom 22.04.2008