Gesellschafter einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft haften nicht für unterlassene Absicherung der Gesellschaft bei einer Insolvenz
BGH 28.04.2008, II ZR 264/06
Gesellschafter einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft, die die Finanzierung der Gesellschaft entgegen der Branchenüblichkeit nicht abgesichert haben, können vom Insolvenzverwalter nicht auf Zahlung der Gesellschaftsschulden in Anspruch genommen werden. Die Grundsätze der Existenzvernichtungshaftung greifen in diesem Fall nicht ein. Ein Zahlungsanspruch ergibt sich auch nicht im Wege eines Haftungsdurchgriffs wegen materieller Unterkapitalisierung.
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.-Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft mbH (A.-BQG). Die drei Beklagten sind die Gesellschafter der A.-BQG, wobei der Beklagte zu 1) ihr Geschäftsführer ist und die Beklagten zu 2.) und 3.) zugleich Gesellschafter der B.-GmbH sind, die sämtliche Kommanditanteile an der C.-KG hält.
Als die C.-KG wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten Arbeitnehmer entlassen musste, einigte sie sich mit ihrem Betriebsrat auf die Gründung der A.-BQG mit einem Stammkapital von 25.000 Euro. Die A.-BQG sollte in erster Linie durch öffentliche Gelder (insbesondere Strukturkurzarbeitergeld und Qualifizierungsmittel nach dem SGB III) finanziert werden. Die verbleibenden Kosten in Höhe von rund 25.000 Euro monatlich für Sozialversicherungsbeiträge, die Aufstockung des Nettoverdienstes der Mitarbeiter sowie für das Urlaubs- und Feiertagsentgelt (so genannte Remanenzkosten) sollten von der C.-KG getragen werden.
Daraufhin lösten 21 Arbeitnehmer der C.-KG die Arbeitsverhältnisse zu ihrer bisherigen Arbeitgeberin auf und begründeten neue Arbeitsverhältnisse mit der A.-BQG. Wenige Monate später stellte die C.-KG wegen Zahlungsunfähigkeit Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Da der Anspruch der A.-BQG gegen die C.-KG auf Leistung der Remanenzkosten entgegen der Branchenüblichkeit weder über einen unabhängigen Treuhänder noch durch Bankbürgschaft oder sonstige gleichwertige Sicherheit abgesichert war, musste die A.-BQG kurze Zeit später ebenfalls Insolvenzantrag stellen.
Der Kläger nahm die Beklagten primär aus dem Gesichtspunkt der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs beziehungsweise materieller Unterkapitalisierung auf Zahlung des im Insolvenzverfahren offen gebliebenen Betrags von rund 148.000 Euro in Anspruch. LG und OLG gaben der Klage statt. Auf die Revision der Beklagten wies der BGH die gegen die Beklagten zu 2) und 3) gerichtete Klage ab und verwies die Sache hinsichtlich des Beklagten zu 1) zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Die Gründe:
Die Beklagten haften weder nach den Grundsätzen der Existenzvernichtungshaftung noch im Wege des Haftungsdurchgriffs wegen materieller Unterkapitalisierung für den im Insolvenzverfahren offen gebliebenen Betrag.
Kein Anspruch nach Grundsätzen der Existenzvernichtungshaftung
Der Kläger kann die Beklagten nicht nach den Grundsätzen der Existenzvernichtungshaftung auf Zahlung in Anspruch nehmen. Die Existenzvernichtungshaftung stellt nach dem Urteil des Senats vom 16.07.2007 (Az.: II ZR 3/04) eine schadensersatzrechtliche Innenhaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft dar und ist eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gemäß § 826 BGB. Sie setzt einen Eingriff in das zweckgebundene, den Gläubigern als Haftungsfonds dienende Gesellschaftsvermögen voraus.
An einem solchen Eingriff fehlt es hier. Das Unterlassen der gebotenen Absicherung des Anspruchs der A.-BQG gegen die C.-KG auf Leistung der Remanenzkosten stellt schon begrifflich keinen Eingriff dar und kann einem solchen auch nicht gleichgestellt werden, da durch dieses Unterlassen das Stammkapital der A.-BQG nicht angetastet worden ist.
Kein Anspruch wegen materieller Unterkapitalisierung
Eine Haftung der Beklagten kommt auch nicht auf der Grundlage eines speziellen Haftungsinstituts der Haftung von GmbH-Gesellschaftern wegen (materieller) Unterkapitalisierung der GmbH in Betracht. Eine derartige Haftung ist weder gesetzlich normiert noch durch höchstrichterliche Rechtsfortbildung als gesellschaftsrechtlich fundiertes Haftungsinstitut anerkannt. Die materielle Unterkapitalisierung einer GmbH kann im Einzelfall lediglich nach Maßgabe von § 826 BGB Ersatzansprüche auslösen.
Einzelfall-Haftung nur gegenüber Arbeitnehmern
Im Streitfall kommen wegen der fehlenden Absicherung der Remanenzkosten-Ansprüche allerdings keine Ansprüche der A.-BQG, sondern nur solche der Arbeitnehmer in Betracht, die zur A.-BQG übergewechselt sind. Denn diese Arbeitnehmer sind möglicherweise im Sinn von § 826 BGB durch Verschweigen der fehlenden Absicherung arglistig getäuscht worden. Hierbei handelt es sich um individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer, zu deren klageweiser Geltendmachung nur sie selbst berechtigt sind und nicht der Kläger als der Insolvenzverwalter über das Vermögen der A.-BQG.
Eine Haftung der Beklagten gegenüber der Insolvenzmasse wegen der unterlassenen Absicherung der Remanenzkosten-Ansprüche scheidet damit insgesamt aus.
Zurückweisung hinsichtlich des Beklagten zu 1)
Während die Klage gegen die Beklagten zu 2) und 3) aus diesem Grund abzuweisen war, war hinsichtlich des Beklagten zu 1) eine Zurückweisung an das Berufungsgericht geboten, da der Kläger den Beklagten zu 1) hilfsweise in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer gemäß § 43 Abs.2 GmbHG und wegen Masseschmälerung aus § 64 Abs.2 GmbHG auf Zahlung in Anspruch genommen hat.
Linkhinweise:
* Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
* Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
* Für das ebenfalls auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Urteil vom 16.07.2007 (Az.: II ZR 3/04) klicken Sie bitte hier (pdf-Datei).
Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 29.04.2008 11:58
Quelle: BGH PM Nr.85 vom 28.04.2008