Anleger tragen die Beweislast bezüglich bestehendem Aufklärungsbedarf zu Anlagegeschäften soweit schon früheren Anlagegeschäfte erfolgt sin

OLG Karlsruhe 17.7.2011, 17 U 36/12
Eine erneute Aufklärung über das allgemeine Emittentenrisiko beim Erwerb eines Zertifikats ist entbehrlich, wenn der Anleger hierüber bereits aufgrund früherer Erwerbsgeschäfte informiert worden war. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der früheren ordnungsgemäßen Aufklärung trägt der Anleger im Rahmen der allgemeinen Regeln, denn zur Darlegung der Verletzung der Beratungspflicht gehört auch der Umstand, dass insoweit ein Aufklärungsbedarf (noch) bestand.

Die Klägerin nahm die beklagte Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes wegen Verletzung der Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit dem Erwerb von 100 Stück Alpha Express Zertifikate der Emittentin Lehman Bros Treasury Co. B.V. zum Nennwert von je 1.000 € auf Schadensersatz in Anspruch. Die Kapitalanlage war dem Zahnarzt im Ruhestand, der seit 2005 Kunde der Beklagten war, in einem Beratungsgespräch am 11.4.2008 vom Anlageberater der Beklagten unter Übergabe eines Faltblattes empfohlen worden. Bereits im Mai und September 2007 hatte er über die Beklagte entsprechende Zertifikate erworben.Die Mitarbeiter der Beklagten erstellten wiederholt ein Risikoprofil des Zedenten, zuletzt am 11.4.2008. Der Zedent erteilte an diesem Tag der Beklagten die Order zum Kauf der streitbefangenen Wertpapiere. Diesen Auftrag rechnete die Beklagte unter dem 5.5.2008 ab. Über das Vermögen der Emittentin wurde am 8.10.2008 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit dem Vorwurf, die Beklagte habe in mehrfacher Hinsicht ihre Beratungspflichten verletzt, begehrte die Klägerin Rückzahlung der Anlagesumme.Das LG gab der Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG das Urteil auf und wies die Klage ab. Die Revision zum BGH wurde nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:
Der Klägerin stand wegen des streitigen Wertpapiergeschäfts ein Anspruch auf Schadensersatz nicht zu.

Das LG hatte die Anforderungen an die Schutzpflichten einer beratenden Bank in mehrfacher Hinsicht überspannt. Zwar gehört nach BGH-Rechtsprechung zu einer ordnungsgemäßen Beratung grundsätzlich auch die vollständige Risikodarstellung der Anlageform des Zertifikats und damit eine Aufklärung über das sog. allgemeine Emittentenrisiko. Eine solche Pflicht besteht aber dann nicht, wenn dem Anleger dieses Risiko aus seinem bisherigen Anlageverhalten geläufig war.

Der Ehemann der Klägerin hatte bereits vor dem 11.4.2008 über die Beklagte Zertifikate erworben. Hat der Anleger aufgrund seines früheres Anlageverhaltens bereits Erfahrungen mit Zertifikaten und Derivaten gesammelt, wäre die Verpflichtung der beratenden Bank zum erneuten Hinweis auf das allgemeine Emittentenrisiko ein bloßer Formalismus. Ein Informationsgewinn für den Anleger wäre damit nicht verbunden. Mit der früheren Information entfällt die Informationsbedürftigkeit des Anlegers und mit ihr auch der Schutzzweck des Beratungsvertrags.

Mit der Behauptung, der Zedent sei bereits zuvor von einem Mitarbeiter in zwei Beratungsgesprächen allgemein über das Bonitätsrisiko bei Zertifikaten informiert worden, hat die Beklagte lediglich ihrer sekundären Darlegungslast genügt. Damit trat – entgegen der Meinung des LG – allerdings keine Änderung der Darlegungs- und Beweislast ein. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der früheren ordnungsgemäßen Aufklärung trägt der Anleger im Rahmen der allgemeinen Regeln. Denn zur Darlegung der Verletzung der Beratungspflicht gehört auch der Umstand, dass insoweit ein Aufklärungsbedarf (noch) bestand. Die entgegenstehende Rechtsauffassung des Landgerichts widerspricht der einhelligen Rechtsprechung.

Die Beklagte musste im April 2008 auch nicht auf wirtschaftliche Schwierigkeiten der Emittentin bzw. Garantiegeberin hinweisen. Denn ein solches spezifisches Risiko von Lehman Brothers war seinerzeit nicht erkennbar. Auch aufgrund der Lektüre der Wirtschaftspresse musste die Beklagte eine andere Einschätzung der Bonität der Emittentin nicht vornehmen. Zwar geriet die Emittentin ab Frühjahr 2008 wie andere amerikanische Großbanken in Schwierigkeiten und bis zum Sommer 2008 waren in der Wirtschaftspresse bereits zahlreiche Meldungen über die sich rapide verschlechternde wirtschaftliche Situation erschienen. Allerdings erschienen erst im Juni und Juli 2008 in der “FAZ”, der “Börsenzeitung”, der “Financial Times Deutschland” und dem “Handelsblatt” insgesamt 27 Artikel, die sich mit der Emittentin beschäftigten.

Quelle: Landesrechtsprechungsdatenbank Baden-Württemberg