BGH: 31 Jahre Fondsbindung zur Altersvorsorge können unwirksam sein

BGH 22.5.2012, II ZR 205/10

Regelungen in Verträgen von zur Altersvorsorge gedachten Kapitalanlagegesellschaften (hier: in Form einer GbR), die den nur in geringem Umfang kapitalmäßig beteiligten Anlegern eine ordentliche Kündigung ihrer Beteiligungen erstmals nach 31 Jahren gestatten, stellen wegen des damit für die Anleger verbundenen unüberschaubaren Haftungsrisiken eine unzulässige Kündigungsbeschränkung nach § 723 Abs. 3 BGB dar. Dies kann auch dann gelten, wenn noch nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB überschritten ist.

Der Sachverhalt:
Der Beklagte hatte sich im Dezember 2005 an der Klägerin, einem geschlossenen Fonds in der Rechtsform einer GbR beteiligt. Er wählte unter den im Beitrittsformular angebotenen Beteiligungsmöglichkeiten das Programm Multi D und verpflichtete sich zu monatlichen Ratenzahlungen von 50 € zzgl. einer Agio über einen Zeitraum von 30 Jahren, wobei er zwischen einer Rateneinzahlungsdauer von 18, 25, 30 und 40 Jahren hatte wählen können. Aus der Zusammenschau der Regelungen folgte, dass derjenige, der 30 Jahre als Mindestlaufzeit gewählt hatte, erst zum Ende des 31. Beteiligungsjahres kündigen konnte. Nach zwölf Jahren konnte zudem die Beitragsfreistellung beantragt werden.

Die erste Rate war im Februar 2006 fällig; der Beklagte zahlte lediglich die Raten für Februar und März 2006. Mit ihrer im Urkundenprozess erhobenen Klage verlangte die Klägerin vom Beklagten die rückständigen Raten April 2006 bis Dezember 2009 (= 2.362,50 €) nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten. In der Klageerwiderung vom 4.3.2010 erklärte der Beklagte die außerordentliche Kündigung des Beteiligungsverhältnisses. Außerdem hat er die Beitrittserklärung wegen arglistiger Täuschung angefochten und deren Widerruf erklärt.

Das AG wies die Klage ab. Auf die Berufung der Klägerin wies das LG die Klage hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten ab und stellte im Übrigen fest, dass die Forderung der Klägerin gegen den Beklagten i.H.v. 2.362,50 € als unselbständiger Rechnungsposten im Rahmen der Berechnung des Abfindungsanspruchs des Beklagten einzustellen sei. Die Revision der Klägerin blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Die vertragliche Kündigungsbeschränkung war unwirksam mit der Folge, dass der Beklagte sein Beteiligungsverhältnis am 4.3.2010 wirksam gekündigt hatte.

Die Beschränkung des Kündigungsrechts des Beklagten verstieß gegen § 723 Abs. 3 BGB. Infolgedessen konnte sich der Beklagte jederzeit durch Kündigung von seiner Beteiligung an der Klägerin lösen. Die Frage, wo die zeitliche Grenze einer zulässigen Zeitbestimmung verläuft, lässt sich nicht allgemein, sondern nur anhand der Umstände des Einzelfalls beantworten. Hierbei sind außer den schutzwürdigen Interessen der einzelnen Gesellschafter an absehbaren, einseitigen, ohne wichtigen Grund gewährten Lösungsmöglichkeiten auch die Struktur der Gesellschaft, die Art und das Ausmaß der für die Beteiligten aus dem Gesellschaftsvertrag folgenden Pflichten sowie das durch den Gesellschaftszweck begründete Interesse an möglichst langfristigem Bestand der Gesellschaft zu berücksichtigen.

Die danach erforderliche Interessenabwägung führte hier zur Unwirksamkeit der Vertragsbindung von 31 Jahren. Zwar setzte die als Kapitalanlage konzipierte GbR notwendigerweise eine längere Laufzeit voraus. Auch stellte die monatliche Belastung für sich gesehen wirtschaftlich keine übermäßige Einschränkung der Handlungsfreiheit des Anlegers dar. Außerdem hatte der Beklagte in Kenntnis seines Alters nicht die geringere Laufzeit von 18 Jahren, sondern freiwillig eine längere gewählt. Gleichwohl vermochte auch der Umstand, dass nach zwölf Jahren die Beitragsfreistellung beantragt werden konnte, nichts an der Unzulässigkeit einer 31-jährigen Vertragsbindung zu ändern. Denn der Beklagte würde dadurch nur von seiner Einzahlungspflicht befreit, bliebe jedoch Gesellschafter der Klägerin und wäre für weitere 19 Jahre der unbeschränkten, persönlichen Außenhaftung mit seinem gesamten Vermögen ausgesetzt.

Diesem grundsätzlich unbegrenzten, von einem nur kapitalistisch beteiligten Anleger nicht überschaubaren Haftungsrisiko über einen Zeitraum von 31 Jahren stand, wie die geringe Ratenhöhe zeigte, wirtschaftlich nur eine Beteiligung des Gesellschafters in geringem Umfang gegenüber. Angesichts dessen wurde der Gesellschafter durch das unüberschaubare Haftungsrisiko in seiner persönlichen und wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit in einem Ausmaß beeinträchtigt, das zwar noch nicht die Grenze der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB überschritten haben mochte, das aber durch keine Interessen der Gesellschaft an seinem Verbleib gerechtfertigt war und sich demnach als eine unzulässige Umgehung des in § 723 Abs. 3 BGB verbotenen Kündigungsausschlusses darstellte.

Quelle: BGH online