Verfall von Urlaubsanspruch langzeiterkrankter Mitarbeiter

BAG 7.8.2012, 9 AZR 353/10

Urlaubsanspruch langzeiterkrankter Arbeitnehmer verfällt 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres

Der Urlaubsanspruch langjährig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer verfällt auch ohne entsprechende tarifvertragliche Regelung 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Das folgt aus einer richtlinienkonformen Auslegung bzw. Fortbildung von § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG. Grundlage hierfür ist die aktuelle EuGH-Rechtsprechung. Denn der EuGH hat in der KHS-Entscheidung vom 22.11.2011 seine Rechtsprechung bezüglich des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht beanstandet.


Die als schwerbehindert anerkannte Klägerin war vom 1.7.2001 bis zum 31.3.2009 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TVöD Anwendung. 2004 erkrankte die Klägerin und bezog seit dem 20.12.2004 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und darüber hinaus eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung.

Mit ihrer Klage verlangte sie die Abgeltung von 149 Urlaubstagen aus den Jahren 2005 bis 2009 mit rund 18.840 Euro. Zur Begründung machte sie geltend, dass sie während des Bezugs der Erwerbsunfähigkeitsrente selbstverständlich auch arbeitsunfähig gewesen sei, weshalb die Grundsätze zur Abgeltung der Urlaubsansprüche langzeiterkrankter Arbeitnehmer Anwendung fänden.

Die Beklagte berief sich dagegen darauf, dass das Arbeitsverhältnis nach dem TVöD während des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente ruhe; in einem ruhenden Arbeitsverhältnis fielen aber keine Urlaubsansprüche an. Die Rechtsprechung des EuGH sei auf den Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente nicht anzuwenden.

Arbeitsgericht und LAG gaben der Klage bezüglich der Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen statt, verurteilten die Beklagte zur Zahlung von rund 13.400 Euro brutto und wiesen die Klage hinsichtlich der Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs ab. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem BAG größtenteils Erfolg.

Aus den Gründen:
Die Klägerin hat gegen die Beklagte lediglich einen Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Erholungsurlaubs und des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen aus den Jahren 2008 und 2009 mit 3.919,95 Euro brutto.

Allerdings ist ein Abgeltungsanspruch für den geltend gemachten Zeitraum entstanden. Auch Arbeitnehmer, die im Urlaubsjahr befristet eine Rente wegen Erwerbsminderung bezogen haben, können eine Abgeltung ihres Urlaubs verlangen. Das gilt selbst dann, wenn eine tarifliche Regelung – wie hier der TVöD – bestimmt, dass das Arbeitsverhältnis während des Bezugs dieser Rente auf Zeit ruht. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch steht nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien.

Der Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin ist aber größtenteils verfallen. Der EuGH hat mit Urteil vom 22.11.2011 (Rs. C-214/10 – KHS) seine Rechtsprechung bzgl. des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer geändert und den Verfall des Urlaubs 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres nicht beanstandet. § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG ist daher bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern unionsrechtskonform so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres  verfällt.

Nach diesen Grundsätzen sind die Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres verfallen.

Erläuterung des Entscheidungshintergrundes:
Mit Urteil vom 22.11.2011 (Rs. C-214/10 – KHS) hatte der EuGH entschieden, dass einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträge, wonach Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub bei Langzeiterkrankung zeitlich nicht unbegrenzt angesammelt werden können, sondern 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraums erlöschen, mit Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG vereinbar sind. Die Entscheidung bezog sich auf eine entsprechende Klausel im Metalltarifvertrag NRW. Das hierin geregelte Erlöschen der Urlaubsansprüche nach 15 Monaten gilt nach der Entscheidung des BAG nunmehr tarifvertragsunabhängig für alle Arbeitsverhältnisse.

Quelle: BAG PM Nr. 56 vom 7.8.2012