Plötzliche Arbeitsunfähigkeit nach Zugang der Kündigung stellt kein Indiz für vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit dar
Gesundheitliche Störungen nach Übergabe einer Kündigung sind nicht ungewöhnlich
Es erscheint nicht ungewöhnlich, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer schriftlichen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen wie Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen und Weinkrämpfe erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen. Dabei muss es zuvor nicht zu einer “Konfliktsituation” mit einem Vorgesetzten gekommen sein.
Der Sachverhalt:
Der Beklagte betreibt eine Rechtsanwaltskanzlei und beschäftigte die Klägerin seit August 2011 als Rechtsanwaltsfachangestellte im wöchentlichen Umfang von 16 Stunden bei einem monatlichen Gehalt von 800 € brutto. Am Morgen des 14.11.2011 übergab die Klägerin dem Beklagten eine schriftliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.11.2011. Der Beklagte fragte sie, ob sie bereit sei, unter Abgeltung des noch offenen Urlaubsanspruchs bis dahin zu arbeiten. Die Antwort der Klägerin blieb streitig. Danach verließ der Beklagte die Kanzlei wegen auswärtiger Termine. Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass die Klägerin die in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände (Monitor, Funkmaus und Kaffeemaschine) aus den Büroräumen entfernt hatte.
Einen Tag später ging beim Beklagten eine am Vortag ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung der Klägerin ein. Danach war die Klägerin bis Ende November 2011 krankgeschrieben. Mit Schreiben vom gleichen Tag kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis seinerseits außerordentlich. Er begründete dies damit, dass die Klägerin an diesem Tag unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei und die Gerichtsakte für einen auswärtigen Termin des Beklagten nicht herausgelegt habe. Das vorgelegte Attest, wonach die Klägerin Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen sowie Weinkrämpfe erlitten hätte, sei ein Gefälligkeitsattest. Die Klägerin sei nicht krank gewesen, sondern habe die Krankheit vorgetäuscht.
Mit der am 24.11.2011 eingegangenen Klage wandte sich die Klägerin gegen diese Kündigung. Das ArbG gab der Klage statt. Es war der Ansicht, dass der Beklagte das Vortäuschen einer Krankheit nicht bewiesen, insbesondere den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert oder gar entkräftet habe. Die Berufung des Klägers blieb vor dem LAG erfolglos.
Die Gründe:
Angesichts der Tatsache, dass – anders als bei der Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – im Rahmen der Kündigungsschutzklage dem Arbeitgeber die volle Beweislast für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung i.S.d. § 626 BGB obliegt, war die Berufung zurückzuweisen.
Es brauchte insofern kein Sachverständigengutachten über den Gesundheitszustand der Klägerin im Zeitraum vom 14. bis 30.11.2011 eingeholt werden. Denn ohne konkrete Hinweise darauf, dass das von der die Klägerin behandelnden Ärztin ausgestellte Attest falsch war, hätte ein solches Gutachten zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweis geführt, da erst durch die zu ermittelnden Tatsachen der Vortrag des Beklagten hätte schlüssig werden können.
Außerdem war der Sachvortrag des Beklagten nicht geeignet, den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern oder gar zu entkräften. So erschien es nicht ungewöhnlich, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer schriftlichen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen der von der Klägerin beschriebenen Art erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen. Zwar muss es sich dabei nicht um eine “Konfliktsituation” gehandelt haben. Jedoch kann im Einzelfall auch die Kündigung selbst – auch wegen des im Anschluss daran geführten Gesprächs über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist – eine Situation darstellen, die zu einer Destabilisierung des kurz zuvor noch stabilen Gesundheitszustandes führen kann.
Dem widersprach auch nicht die Tatsache, dass die Klägerin noch am gleichen Tag ihre persönlichen Gegenstände aus der Kanzlei entfernt hatte. Das Verhalten der Klägerin war nicht gleichzusetzen mit dem Verhalten der Arbeitnehmer in den vom Beklagten herangezogenen Fällen (u.a. BAG Urt. v. 12.3.2009 – 2 AZR 251/07). In den Fällen hatten die Arbeitnehmer nämlich eine Arbeitsunfähigkeit für den Fall angekündigt, dass der Arbeitgeber nicht das gewünschte Verhalten (Genehmigung des Urlaubsgesuchs) zeigen würde. Ein damit vergleichbares Verhalten hatte die Klägerin aber gerade nicht an den Tag gelegt. Sie hatte weder vom Beklagten die Freistellung für den Rest des Arbeitsverhältnisses verlangt noch für den Fall der Ablehnung dieses Begehrens angekündigt, sie werde sich krankschreiben lassen.
Quelle: Hessenrecht Landesrechtsprechungsdatenbank