Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) findet auch auf Kündigungen Anwendung
ArbG Osnabrück 5.2.2007, 3 Ca 778/06
Arbeitgeber müssen auch bei Kündigungen Diskriminierungsverbote des AGG beachten
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist entgegen der in § 2 Abs.4 AGG geregelten Ausnahme auch auf Kündigungen anwendbar. Die Bildung von Altersgruppen für die Sozialauswahl kann daher eine nach dem AGG unzulässige Altersdiskriminierung darstellen. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber kein berechtigtes betriebliches Interesse an der Alterszusammensetzung hat. Hierfür reicht nicht jedes wirtschaftliche Interesse aus.
Der Sachverhalt:
Die Beklagte beschäftigte im Kündigungszeitraum mehr als 5.000 Arbeitnehmer. Wegen Absatzschwierigkeiten wollte sie 619 Stellen abbauen. Sie schloss mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste sowie einen Sozialplan. Um einen kündigungsbedingten Anstieg des Altersdurchschnitts zu verhindern, bildeten die Betriebspartner im Sozialplan und Interessenausgleich fünf Altersgruppen. Diese sollten möglichst gleichmäßig von den Kündigungen betroffen sein.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger, der in der Namensliste aufgeführt war, aufgrund der kollektiven Vereinbarungen betriebsbedingt.
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass die Kündigung sozialwidrig und damit rechtsunwirksam sei. Die Beklagte verteidigte dagegen ihre Sozialauswahl. Sie sei insbesondere berechtigt gewesen, Altersgruppen zu bilden, da der Altersdurchschnitt bei den Mitbewerbern erheblich niedriger sei. Ohne die Altersgruppen wäre der ohnehin schon hohe Altersdurchschnitt ihrer Mitarbeiter von 43 Jahren um weitere sechs Jahr angestiegen.
Die Klage hatte vor dem ArbG Erfolg.
Die Gründe:
Die Kündigung ist unwirksam, weil die von der Beklagten im Rahmen der Sozialauswahl vorgenommene Altersgruppenbildung nicht mit dem Benachteiligungsverbot gemäß § 7 AGG zu vereinbaren ist. Hiernach dürfen Beschäftigte unter anderem nicht wegen ihres Alters benachteiligt werden.
Das AGG ist im Streitfall anwendbar. Nach § 2 Abs.4 AGG sollen für Kündigungen zwar ausschließlich die Bestimmungen des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes gelten. Diese Ausnahmevorschrift ist jedoch in ihrem Wortlaut europarechtswidrig, da sich die Richtlinie 2000/78/EG in ihrem Anwendungsbereich unstrittig auch auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezieht. Als europarechtswidrige Norm ist § 2 Abs.4 AGG im Rahmen der europarechtskonformen Auslegung von den deutschen Gerichten nicht anzuwenden, so dass sich auch Kündigungen am Maßstab des AGG messen lassen müssen.
Die im Streitfall vorgenommene Altersgruppenbildung benachteiligt ältere Arbeitnehmer. Denn sie hat wegen der auf die jeweilige Altersgruppe beschränkten Berücksichtigung von Lebensalter und Beschäftigungszeit dazu geführt, dass mehr ältere Arbeitnehmer gekündigt werden konnten als dies ohne die Altersgruppenbildung möglich gewesen wäre. Hierin liegt eine gemäß § 7 Abs.1 AGG unzulässige Altersdiskriminierung, wenn die Altersgruppenbildung nicht gemäß § 10 S.1 AGG objektiv, angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.
Ein solches berechtigtes Interesse hat die Beklagte nicht vorgetragen. Für die berechtigte Bildung von Altersgruppen genügt angesichts des gesetzlichen Diskriminierungsschutzes nicht jedes wirtschaftliche Interesse. Die Bildung von Altersgruppen kann insbesondere nicht damit gerechtfertigt werden, dass ältere Arbeitnehmer an sich weniger leistungsfähig sind. Denn es existieren keine empirischen Belege, die dieses Vorurteil belegen. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass ältere Arbeitnehmer oftmals kostenintensiver sind.
Der Hintergrund:
Das ArbG Osnabrück ist soweit ersichtlich das erste deutsche Arbeitsgericht, das die Anwendbarkeit des AGG auf Kündigungen bejaht hat. In der arbeitsrechtlichen Literatur ist zwar überwiegend anerkannt, dass § 2 Abs.4 AGG in seinem Wortlaut europarechtswidrig ist. Die Reichweite der europarechtskonformen Auslegung der Norm ist jedoch umstritten. So wird der Wortlaut teilweise als Grenze der Auslegung angesehen, so dass Kündigungen grundsätzlich nicht dem AGG unterfallen.
Quelle: Verlag Dr. Otto-Schmidt vom 14.05.2007